Montag, 19. Juni 2006

Die Bahn und Großereignisse

Heute mal ein Gasteintrag von Angie, besten Dank. :)

Gestern hatte ich das Vergnügen, dem WM-Spiel "Frankreich - Südkorea" in Leipzig beizuwohnen. Dasselbe Vergnügen hatten gemäß offizieller Zählung weitere 42.999 Zuschauer. Ausverkauft also, wer hätte es gedacht? Die Bahn scheinbar nicht. Aber der Reihe nach:

Anpfiff war um 21:00 Uhr, das Spielende war also gegen 23:00 Uhr zu erwarten. Wie praktisch, daß um 23:50 Uhr ein WM-Sonder-ICE über Berlin nach Hamburg fuhr. Mit dem würde ich schnell und unkompliziert nach Hause kommen...

Ein paar Stunden vor Spielbeginn kaufte ich also mein Bahnticket. Der Automat wies mich darauf hin, daß eine Sitzplatzreservierung empfehlenswert sei. Gut dachte ich, an den 2(?) Euro soll's nicht scheitern und forderte gutgelaunt einen Nichtraucherplatz im Großraumwagen an. "Reservierung nicht möglich". Aha. Dann halt nicht. Um zu demonstrieren, daß ich mir trotz stetig fortschreitenden Alters noch ein gutes Stückchen jugendlicher Naivität bewahrt habe, soll der folgende Gedankengang hier in seiner Gänze zitiert werden: 'Hmmm, scheint nix mehr frei zu sein. Vielleicht kommen sie ja auf die Idee, einen größeren Zug zu schicken.'

Zeitsprung ohne Q – es ist jetzt 23:35 Uhr, das Spiel ist vorbei, ich stehe am Bahnhof und studiere den Wagenstandsanzeiger. Oha, denke ich, der ist aber mächtig kurz, aber vielleicht… s.o. Der Zug fährt ein und es offenbart sich, daß der Gedankengang der Bahnverantwortlichen – der geneigte Leser ahnt es bereits – wohl eher folgender war: 'Oh, wir haben 100% Reservierungen, also einen zu 100% besetzten Zug. Wie effizient wir doch sind – laßt uns an die Börse gehen!!'

Netterweise kommt eine der Türen direkt vor mir zum Stehen. Nach einem kurzen Blick auf die Sitze, über denen – wie zu erwarten – sämtlichst rote Reservierungsangaben leuchteten, sicherte ich mir kurz entschlossen einen Bodensitzplatz außerhalb des Durchgangsverkehrs. Es konnte losgehen. Ging es aber nicht. Stattdessen bekamen meine geschätzten Mitreisenden und ich gegen Mitternacht eine Durchsage folgenden Wortlauts zu hören: „Unser Zug ist derzeit mit über 200% besetzt. *bla* Achsenlast *fasel * Im Interesse ihrer und unserer Sicherheit können wir die Fahrt daher derzeit nicht aufnehmen. Weitere Informationen… sobald wir welche haben.“ (Nein, der letzte Satz entspringt weder meiner zugegebenermaßen lebhaften Phantasie noch einer sarkastischen Zuspitzung.) Das Ganze nur auf Deutsch, schließlich war es auch absurd davon auszugehen, unter den Fahrgästen könnten sich welche befinden, die kein Deutsch verstanden. Franzosen zum Beispiel. Oder auch Koreaner. Aber ich schweife ab.

Ungefähr 5 Minuten später erneut ein Durchsage: „Bitte beachten Sie: Um 00:30 Uhr wird vom selben Gleis ein Entlastungszug nach Berlin fahren. Wir bitten alle Fahrgäste mit Fahrtziel Berlin, diesen Zug zu benutzen.“ Klang eigentlich vernünftig. Dumm nur, daß ich es der Bahn durchaus zutraue, einen solchen Zug zwar anzukündigen, dann aber an der Organisation desselben zu scheitern. Und da er vom selben Gleis fahren sollte, würde ich ihn vorher noch nicht mal zu Gesicht bekommen. Dumm auch, daß es zwischen mir und dem Ausgang verdammt viele Hindernisse gab. Besonders dumm war allerdings, daß es auch diese Ansage nur auf Deutsch gab. Ein Blick aus dem Fenster stellte klar, daß meine Einschätzung der Situation offenbar von einem Großteil der Mitfahrer geteilt wurde, denn es tat sich nichts.

Ein paar Minuten später: „Um 1:20 Uhr wird ein weiterer Zug nach Hamburg fahren, Fahrgäste ohne Reservierung mit Fahrtziel Hamburg werden gebeten, diesen Zug zu benutzen.“ Nun wollte ich nicht nach Hamburg. Trotzdem bin ich zuversichtlich den Gedankengang des durchschnittlichen Hamburgfahrers hier hinreichend akkurat wiedergeben zu können: ‚In mehr als einer Stunde?! Pffft!’ Der weiterhin nur sehr spärlich besetzte Bahnsteig ließ meinen gewagten Ausflug in die Welt der Telepathie erfolgreich scheinen.

Wieder etwas später. Die gleichen Ansagen jetzt auf Englisch, gefolgt von derselben Nichtreaktion der Fahrgäste.

Noch später. Französisch. Leider ist mein Französisch nicht das Beste. Trotzdem konnte ich verstehen, daß die Franzosen „imperativement“ andere Züge benutzen sollten. Ist der durchschnittliche Franzose wirklich so viel schwerer als sein deutsches bzw. englisches Pendant, oder warum dieses doch sehr energische Drängen? Egal, es passierte noch immer nichts.

Meine Hoffnungen auf eine Ansage auf Koreanisch wurden jäh zunichte gemacht als sich um ca. 00:20 Uhr die Türen schlossen und sich der Zug in Bewegung setzte. Warum das plötzlich doch ging, wußte keiner. Ich persönlich vermute ja, daß irgendwo außerhalb meines Blickfelds mittels roher Gewalt zwei Waggons komplett geräumt wurden, so daß das Durchschnittsgewicht danach in Ordnung war. Oder so…

Und die Moral von der Geschicht? Wenn keine Reservierung möglich ist, dann kauf auch keine Karte, dann bekommst Du das folgende Theater wenigstens kostenlos geboten. Denn ein Kontrolleur kam natürlich auch nicht durch.

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